„Jetzt röntgen wir erst einmal und dann ……“

Museum Sybodo Medizinische Instrumente und Geräte der Krankenpflege
Kennen Sie diesen Satz? Und was machen Sie? Lassen Sie sich, Ihr Kind oder die Urgroßmutter röntgen? Wenn es der Arzt denn so dringend empfiehlt?
Diagnostik mittels Bildgebung ist zweifelsohne ein wichtiger Bestandteil ärztlichen Tuns. Aber der Einsatz der Röntgenstrahlung unterliegt strengen Auflagen, da diese Strahlung, auch als ionisierende Strahlung bezeichnet, Schäden am bestrahlten Objekt verursachen kann. Und die beschwichtigenden Vergleiche des Arztes wie: „Wenn Sie einmal nach New York fliegen, ist die Strahlenbelastung höher.“ sind in der Regel falsch und irreführend.
Ganz kurz zur Physik
Der Begriff „ionisierende Strahlung“ erklärt schon viel: die eingesetzte Strahlung hat eine so hohe Energie, dass sie Gewebe ionisieren kann, also Atome in einen anderen Energiezustand versetzen kann. Je mehr Atome Wechselwirkungen mit der Strahlung eingehen, umso höher ist die aufgenommene Strahlendosis. Aber eventuell auftretende unerwünschte Gewebeschäden sind im Bereich der Röntgendiagnostik mit zumeist nicht deterministischen Dosisgrößen nicht voraussehbar: so kann eine sehr geringe Dosis einen massiven Strahlenschaden verursachen, andererseits eine wesentlich höhere Dosis folgenlos bleiben. Wir sprechen von einem stochastischen Strahlenschaden. Viele Größen beeinflussen die Strahlenwirkung: Art des bestrahlten Gewebes, Alter der bestrahlten Person, Strahlensensitivität, Strahlenart, Dauer der Strahlenwirkung, Abstand zur Strahlenquelle, Größe des Strahlenfeldes.
Ganz kurz zur Dosis
Wenn Ihnen der Arzt sagt: „Die Dosis von der Röntgenuntersuchung xy entspricht der Dosis, der Sie in einem Jahr aus der natürlichen Umgebungsstrahlung ausgesetzt sind.“, dann spricht er von der effektiven Dosis (Einheit: Sievert). Die effektive Dosis ist eine aufsummierte Dosis aus vielen einzelnen Organdosen wie Haut, Gonaden, Organe. Sie ist eine stark verallgemeinernde Größe und sagt nicht viel über die das wirkliche Strahlenrisiko aus. Sie dient eher dazu, Vergleiche zwischen verschiedenen Arten von Strahlenexpositionen zu ermöglichen.
Ein Beispiel veranschaulicht es: Eine CT-Untersuchung des Kopfes verursacht eine durchschnittliche effektive Dosis von 2 mSv, was in etwa der durchschnittlichen jährlichen natürlichen Strahlenbelastung entspricht. Wer würde da nicht sagen: „Na ja, ist jetzt nicht so tragisch, ich mach‘den Scan.“ Nun kommen die „Abers“:
1) Die effektive Dosis mittelt alle Organdosen. Wird also der Kopf geröngt, berechnet sich effektive Dosis auch z.B. aus der Hautdosis der großen linken Zehe oder der Dosis am Uterus, die aber beide gegen 0 gehen, denn das bestrahlte Objekt liegt fast ca. 150 cm entfernt. Dafür erhält z.B. die Augenlinse, die ja entweder im Strahlenfeld oder sehr nahe davon liegt, eine sehr hohe Organdosis. Genauso wie z.B. die Schilddrüse. Dies sind beide hochstrahlensensible Organe und ein Augenkatarakt nach mehreren Kopf-CTs ist ein leider bekannter Strahlenschaden.
Wichtig ist also immer das Betrachten der einzelnen Organdosen.
2) In welcher Zeit wird die Dosis appliziert? Der Doktor mit seinem hübschen Vergleich redet von einer jährlichen Strahlenbelastung, also der applizierten Dosis in einem ganzen Jahr. Eine CT-Untersuchung spielt sich aber im Millisekunden-Bereich ab, die Dosisleistung ist um ein Vielfaches höher. Der Körper hat bei der jährlichen Exposition viel Zeit, ev. auftretende Strahlenschäden zu reparieren. Je höher aber die Dosisleistung ist, umso weniger greift dieser Mechanismus, das Reparaturvermögen des Körpers sinkt und der Strahlenschaden ist wesentlich größer.
3) Wie alt ist der Patient? Bei der Urgroßmutter können Sie großzügig sein mit den Röntgenwünschen des Arztes. Je älter ein Mensch ist, desto weniger strahlensensibel ist das Gewebe (da weniger Zellteilungen) und die erwartete Latenzzeit bis zum Auftreten des Strahlenschadens ist wahrscheinlich länger als die verbleibende Lebenszeit.
Will der Arzt aber ein Kind röntgen, sieht die Sache schon anders aus. Ein Kleinkind hat eine um den Faktor von bis zu 20 größere Strahlensensibilität als ein erwachsener Mensch. Auch kumuliert der Strahlenschaden oder umgangssprachlich gesagt: „Der Körper vergisst keine Exposition“. Wenn nun z.B. der Zahnarzt oder der Kieferorthopäde ein Röntgenbild machen möchte, empfiehlt es sich immer, kritisch den Nutzen zu hinterfragen. Denn das sind die obersten Gebote im Strahlenschutz: „Der Nutzen muss den Schaden überwiegen“ und „Jede Strahlenuntersuchung muss eine therapeutische Konsequenz haben.“ Gibt es diese therapeutische Konsequenz nicht, so ist die Röntgenuntersuchung einer Körperverletzung gleichzusetzen.
4) Frauen ab 50 Jahren bis zu 69 Jahren: ab zur Mammographie im Zwei-Jahres-Intervall!!
Haben Sie auch schon eine Einladung bekommen? Und, gehen Sie hin? So schlimm kann es da ja nicht mit der Strahlenbelastung sein, denn die Röntgenassistentin kann ja sogar im Raum bleiben ……
Die Röntgenuntersuchung der weiblichen Brust ist ein Sonderfall. Das Gewebe ist ungünstiges Terrain für die Röntgenstrahlung, da es kaum einen Gewebekontrast gibt, keine Knochenstruktur, keine Luft, nur Weichteilgewebe. Deshalb kommt in der Mammographie eine sehr weiche, d.h. energiearme Röntgenstrahlung zum Einsatz.
Klingt ja erst einmal ganz nett, weiche Strahlung, aber was bedeutet das für die Organdosis der Brust? Nichts Gutes, denn weiche Strahlung bedeutet, dass die Röntgenstrahlung sehr viel Wechselwirkungen mit dem Brustgewebe eingeht und somit eine hohe Organdosis setzt. Diese weiche Strahlung ist aber bildtechnisch nötig, damit man überhaupt irgendetwas auf dem Bild sieht. Die effektive Dosis, die sich wieder aus einer Vielzahl von Organdosen zusammensetzt, ist dafür wieder erfreulich gering, denn die Strahlung ist so weich, dass sie es überhaupt nicht zur Großzehe schafft. Und sie schafft es auch nicht zur Röntgenassistentin, deshalb kann diese bequem im Raum bleiben und das Bleiglas ist eigentlich nur zur Optik, zum Festhalten und für das bessere Gefühl da.
Was ist aber noch ein großer Kritikpunkt, der im Zusammenhang mit dem Mammographie-Screening genannt wird? Die Vielzahl von falsch positiven Befunden. Was bedeutet ein falsch positiver Befund? Die Patientin muss sich unnötigerweise weiterführenden z.T. stark belastenden Untersuchungen aussetzen, den psychischen Stress dabei nicht zu vergessen.
Auch ist der Nutzen des Mammographie-Screenings noch nicht bewiesen: der Nutzen ist nur dann gegeben, wenn die Mortalität sinkt. Und dies konnte bisher noch nicht belegt werden. So haben skandinavische Länder z.T. ihr Mammographie-Screening-Programm wieder zurückgezogen.
Eine Frage zum Schluss: warum ist denn die Brust überhaupt so ein vom Körper ungeliebtes Organ, dass die Medizin ein Screening für nötig hält? Ist es nicht vielleicht ein „hausgemachtes“ Problem? Wenn man jungen Mädchen die Pille verschreibt und diese sich dann vielleicht über Jahrzehnte Hormone zuführen und dem Körper eine Schwangerschaft „vorgaukeln“, liegt es dann nicht nahe, dass ein hormonsensitives Gewebe wie die Brust mit Veränderungen reagiert?
Dieser kurze Text soll nur einen kleinen Einblick geben in die Prinzipien des Strahlenschutzes. Natürlich ist die Röntgendiagnostik eine wertvolle und sinnvolle Untersuchungsmethode, aber Arzt und Patient sollten sich immer vor Augen halten, dass mit dieser Technik auch ein Schaden gesetzt werden kann.